Neulich war mir mal so nach Schreiben. Da die Zeit voran rast, ist diese Mini-Story wahrscheinlich in einem Jahr im Zeitgeist untergegangen. Deshalb teile ich sie für Euch hier.
Alarm
Was für eine Woche! Jetzt sitzt sie hier. Der Wind bläst die brutale Hitze des Tages durch die seufzenden Blätter der alten Bäume hinfort. Ja, so lässt es sich aushalten. Vor ihr flackert in stetem Rhythmus eine gelbe Kerze. Ab und zu weht ihr eine leichte Brise einen Hauch Citronella ins schwitzige Gesicht. Gegen die Raubtiere hat sie die angezündet, die sich gerne – und immer nur an Stellen, an die sie kaum herankommt – ihr süßes Blut holen. Aber selbst die gefräßigen Mückenviecher trüben ihr Innehalten heute nicht. Sie räkelt sich in ihrem gemütlichen Liegestuhl und greift nach einem Glas selbstgemachter Limonade. Zitronenmelisse, die hier in der feuchten Senke wuchert; welch ein Geschenk der Natur und Labsal für ihre von der Hitze und geschätzt tausend Telefonaten in der Woche geschundene Kehle.
Wo bleiben die Cover für den Herbstkatalog? Wie gefällt der Autorin der Entwurf? Klappentext schon fertig? Bitte bemühen Sie sich, wir brauchen ihn zeitnah! Wenn du nicht bis morgen lieferst, werfen wir deinen Titel aus dem Programm. Die Chefin: Natürlich werfen wir den nicht raus, du sollst nur deine Autorinnen erziehen. Ich?
Hast du schon auf Social Media gepostet? Die Werbung kann ja nicht nur allein der Verlag stemmen. Wo bleibt das überarbeitete Lektorat? Den Korrektor schmeiße ich raus, dea weiß ja nicht mahl kein Komma was ein Koma ist. Okay mach das, aber wo bleibt der Teaser – das Exposé – oder was weiß ich denn und die Mine vom Lieblingskuli ist leer. Die Kaffeetasse auch.
Aus!, ermahnt sie sich. Du hast Feierabend und korrigiert das ferne »du« in das nahe »ich« in ihrem Kopf.
Normalerweise und eigentlich greift sie am Feierabend zu ihrem Handy oder Tablet, sie checkt die Nachrichten des Tages, verirrte E-Mails und die Kommentare im Metaversum. Heute beschließt sie, rigoros zu sein. Gnadenlos drückt sie den Befehl »Ausschalten«. Und verpasst damit die wichtigste Neuigkeit der Region. Die frische Luft zieht sie tief in ihre Großstadt-geplagte Lunge und stößt sie langsam und beharrlich wieder aus.
Ein paar Fledermäuse huschen durch das Licht des halben Mondes; ein Fuchs schlendert gemütlich vorbei und schnuppert an dem Busch, an dem sie manchmal Essensreste deponiert. Herzhaft gähnt sie, die Müdigkeit treibt ihr Tränen in die Augen. Zeit fürs Bett!
In dem kleinen Blockhaus steht die Luft. Das winzige Fenster lässt kaum die Kühle der anbrechenden Nacht herein. Was soll hier schon passieren? Die Magnete der Fliegenschutztür klicken leicht zusammen. Die Füchse in der Gegend sind wenig menschenscheu. In mein Häuschen werden sie sich wohl nicht trauen. Ihr Blick wandert über die Dinge, die herumliegen. Sie packt ein Stück Käse, das der Fuchs sicher mögen würde, in den kleinen Gaskühlschrank. Sie ist sooo müde, spült ihren Mund nur noch kräftig mit Wasser aus, Zähne putzen kann sie morgen früh. Sie setzt sich auf die Bettkante, um sich gemütlich in die Kissen sinken zu lassen. Es schaudert sie leicht. Sie nimmt das dicke Kissen vom Liegestuhl, drapiert es vor der offenen Tür gegen die Blindschleichen oder Ringelnattern. Tatsächlich schlängelte sich im letzten Jahr eine in ihre Hütte und mangels zu fressender Frösche flugs wieder hinaus. Darüber nachzudenken, ob ein fettes Kissen eine grausige Schlange aufhalten würde, dazu reicht ihre Wachheit nicht mehr.
Tief und fest schlafend kriecht sie durch ihr Traumland. Klick Klick. Sie stöhnt: der nun wieder. Ihr angetrunkener Freund wankt in der Tür des Blockhauses. Er schnaubt und flucht und stolpert über das Sitzkissen auf dem Boden. Mit ihm ein Schwall von Muff. Der immer und sein Bier und seine Kippen, mäkelt sie im Schlaf. Der stinkt und das hier mitten im Wald. Ihr Traum-Ich mahnt: Er betrinkt sich ja nur dreimal im Jahr, gönn ihm seinen Spaß! Sie schnüffelt, beschließt, dem Liebsten seine Bettseite zu überlassen, und rutscht ein Stück an die Wand. Plumps. Der Lattenrost ächzt, als er sich auf die Matratze fallen lässt. Der stinkt nicht nur nach Alk und Zigarette, sondern auch nach altem Schweiß und Käsefuss. Egal, ich liebe ihn trotzdem. Sie kuschelt sich an ihn. Er pikt. Hat er sich wieder nicht richtig rasiert? Wenn sie ihn jetzt küsst, dann hat sie am nächsten Morgen ganz viele kleine rote Punkte rund um ihren Mund und ist ganz wund. Nein, ich will dich jetzt nicht küssen, du riechst wie ein Ork mit faulen Zähnen. Leicht seufzend öffnet sie im Halbschlaf ein Auge und sieht im fahlen Licht des halben Monds ein Wildschwein an ihrer Seite. Aha, naja, was will mein Traum mir damit sagen? Sie versinkt wieder in Morpheus Armen.
Es krabbelt sie im Gesicht. Schickt die Sonne ihre ersten Strahlen vorsichtig durch das winzige Fenster auf der Ostseite der Hütte? Etwas kitzelt sie um den Mund herum und schnauft. Ach Mann, beschwert sie sich: Lass mich noch ein wenig schlafen! Da trifft sie ein warmer nasser Lappen. Riesig. Igitt. Was ist das? Ihr Ärger treibt sie aus dem Schlaf. Er wischt über ihre linke Wange, wischt über ihre rechte Wange, über ihre Stirn, ihre Augen und schnüffelt an ihrem Hals. Hör auf! Sie schiebt den Kerl ein Stückchen weg und streichelt dabei über seine warme geschmeidige Haut. Ungewohnt seidig heute Morgen, eher wie das Fell einer Main Coone. So seidig.
Sie öffnet unter großen Anstrengungen ihr linkes Auge und blickt direkt in das Auge einer Löwin. Diese stupst sie noch einmal mit ihrer warmen Schnauze an den Hals und nimmt einen tiefen Atemzug, so als würde sie sich an ihren Duft erinnern wollen. Sie springt mit einem Satz vom Bett auf den Flokati, schiebt ihren Hintern in die Höhe, streckt die Vorderbeine aus, knurrt wohlig und schreitet dann elegant über das fette Kissen. Klick. Die Magnete schließen die Fliegentür. So seelig hat sie schon lange nicht mehr geschlafen.
Guten Morgen Brandenburg!
Amandara M. Schulzke